Zukunftsteam Prof. Dr. Sabine Blaschke – Notaufnahmeleiterin UMG

Prof. Dr. Sabine Blaschke
Notaufnahmeleiterin. Notfall- und Akutmedizinerin. Netzwerkerin.

Die optimale Versorgung von Notfallpatientinnen und -patienten hat sich Prof. Dr. Sabine Blaschke zu ihrer beruflichen Kernaufgabe gemacht: Mit ihrem Forschungsschwerpunkt „Digitalisierung in der Notfall- und Akutmedizin“ hat sie sich in diesem Sektor wissenschaftlich etabliert. Zudem ist sie national weit vernetzt und in vielen Fachgesellschaften aktiv. Seit 2012 leitet die Fachärztin für Innere Medizin, Nephrologie und Rheumatologie, Intensiv- und Notfallmedizin die Zentrale Notaufnahme der Universitätsmedizin Göttingen – ihre Erfahrungen und Expertise bringt sie in den Planungen des UMG-Neubaus mit ein.

Welchen Part übernehmen Sie innerhalb des Neubau-Projekts?

Als vor einigen Jahren die Notaufnahme innerhalb der bestehenden Räumlichkeiten der UMG modernisiert und renoviert wurde, war ich erstmals bei einem Bauprojekt beteiligt. Unter den gegebenen räumlichen Voraussetzungen ist die Modernisierung damals schon ein großer Schritt gewesen und wir haben die Prozesse maßgeblich verbessert. Der Neubau und die damit einhergehenden Möglichkeiten, ein Notfallzentrum von Grund auf neu zu entwickeln, eröffnet uns nun ganz andere Perspektiven. Als Leiterin der Zentralen Notaufnahme bin ich dankbar, dass ich an dem Bauprozess beteiligt werde und meine Erfahrungen zu den wichtigen Prozessabläufen in einer Zentralen Notaufnahme mit einbringen kann.

„Die Realisierung des Neubaus sehe ich sowohl für unseren Klinikstandort in Göttingen als zukunftsweisend, als auch für die Notfallversorgung in Deutschland insgesamt.“

Prof. Dr. Sabine Blaschke

Was motiviert Sie besonders an der Aufgabe?

Mir ist sehr daran gelegen, ein Notfallzentrum der Zukunft zu realisieren – insbesondere unter den von der Politik definierten Strukturvoraussetzungen für die künftige Notfallversorgung in Zentralen Notaufnahmen bzw. Kliniken für Notfall- und Akutmedizin in Deutschland. Beides greifen wir in unserer Bauplanung auf. Große Notaufnahmen sollen künftig als sogenannte  Integrierte Notfallzentren (INZ) fungieren. Hierzu wird vom Bundesgesundheitsministerium auf Basis der Empfehlungen der Regierungskommission aktuell eine Notfallreform auf den Weg gebracht. Es geht insbesondere um die enge Kooperation zwischen der ambulanten Notfallversorgung durch niedergelassene Ärztinnen und Ärzte und der Krankenhausnotaufnahme. In der UMG wird ein solches INZ entstehen. 

Wo setzen Sie fachlich bei den Bauplanungen eines neuen Notfallzentrums an? 

Im Kontext dieser Notfallreform bildet unser Konzept die wesentlichen Strukturen und Prozesse baulich ab, die wir im aktuellen Bestand nicht umsetzen könnten – gerade in Bezug auf die Behandlungspfade der Patientinnen und Patienten. Das Entscheidende ist, dass wir strukturierte Behandlungspfade in der Notfallversorgung vorhalten und umsetzen: Es muss klare Strukturen und Zuweisungen von Räumlichkeiten für die einzelnen Prozesse in einem Notfallzentrum geben. Dabei ist der grundlegende Prozessablauf für jeden Notfall identisch. Es beginnt mit einer Ersteinschätzung, der sogenannten Triage. Je nach Behandlungsdringlichkeit erfolgt eine Zuweisung in den erforderlichen Sektor der Notfallversorgung, d.h. in den Bereich der ambulanten oder der stationären Notfallversorgung. In den nächsten Schritten folgt auf Basis des notfallmedizinischen Leitsymptoms die Durchführung der Notfalldiagnostik und -therapie, die schließlich zur Entlassung bei ambulanten Fällen oder zur stationären Aufnahme der betreffenden Notfallpatientinnen und -patienten führt. Das ist eigentlich der Gesamtprozess – Und der muss sich möglichst schlank und strukturiert in einem Notfallzentrum räumlich abbilden. Dass das im künftigen Neubau gegeben ist, dafür haben wir in der Bauplanung entsprechend Sorge getragen. 

Gibt es externe Faktoren, die bei der Bauplanung vorausschauend bedacht worden sind?

Insbesondere drei Faktoren haben bei den Planungen eine Rolle gespielt: 
Erstens können wir für die Zukunft eine Steigerung der Fallzahlen in den zukünftigen Notfallzentren prognostizieren. Wir haben seit 2019 (mit Ausnahme der Phase der Corona Pandemie) einen deutlichen Anstieg in den Notaufnahmen bundesweit zu verzeichnen. Hintergrund ist, dass der niedergelassene ärztliche Bereich nur eingeschränkte personelle Möglichkeiten hat, um die ambulante Notfallversorgung sicherzustellen. Patientinnen und Patienten fahren eher in die Notaufnahme, als dass sie sich im Kassenärztlichen Bereitschaftsdienst vorstellen. 
Zweitens haben wir die demografische Entwicklung mit der älter werdenden Bevölkerung im Blick – das Aufkommen älterer Patientinnen und Patienten macht sich in unserer Notaufnahme stark bemerkbar. 
Und drittens sehen Patientinnen und Patienten in der Behandlung in einer Notaufnahme einen Qualitätsvorteil, weil sie hier diagnostische Maßnahmen in Anspruch nehmen können, die sie bei einem niedergelassenen Hausarzt nicht vorfinden. 

In Summe führen die Einflüsse zu den im Vorfeld modellierten erhöhten Fallzahlen. In dem Zusammenhang sind die Crowding-Situationen zu erwähnen: die Überfüllung von Notaufnahmen. Ein starker Einflussfaktor von Crowding-Situationen ist der Exit Block – was so viel bedeutet: Wenn zu viele Notfälle gleichzeitig zu versorgen sind und wir Notfallpatientinnen und -patienten nicht zeitnah an die Fachabteilungen überweisen können, kann ein Flaschenhals entstehen, der den Fluss der Patientinnen und Patienten in der Notaufnahme beeinflusst und stört. Mit dem Ergebnis, dass die Verweildauer der Notfallpatientinnen und -patienten in einer Notaufnahme zu hoch sein kann. Dies beeinflusst maßgeblich die Versorgungsqualität, aber auch die Zufriedenheit der Mitarbeitenden.

Welche baulichen Konsequenzen haben diese von Ihnen aufgeführten Entwicklungen, um dem erhöhten Fallzahlaufkommen gerecht zu werden und eine stationäre Notfallversorgung sicher zu stellen?

All diese Aspekte münden in drei wichtigen Maßnahmen, die wir für den Neubau entscheidend mitdenken: Mehr Platz und Räume, eine Struktur, die schlanke Prozesse ermöglicht und eine effiziente, zeitsparende Wegeführung. Als Beispiel nenne ich die Aufnahmestation, die wir mit 22 Betten wesentlich vergrößern werden – vom Gesetzgeber sind in einer Notaufnahme nur sechs gefordert. Optimiert wird auch die Schockraumversorgung: Diese ist für eine schnelle Therapie- und Prognoseentscheidung für Notfallpatientinnen und -patienten relevant. Die bildgebende Diagnostik wird im Neubau deshalb in der Nähe aller Schockräume platziert sein. Generell werden wir unsere Wege- und Transportzeiten optimieren. Künftig wird der Landeplatz auf dem Dach des Neubaus sein und über einen Notfallaufzug direkt zum Schockraum führen. Auch das Herzkatheterlabor wird direkt neben den Schockräumen zur Verfügung stehen. Wir werden also künftig eine sehr enge Wegebeziehung zwischen den relevanten diagnostischen und medizinischen Einheiten in der Notfallversorgung haben.

Welche Bedeutung hat es für Sie persönlich, dass es mit dem Neubau vorangeht und der Baubeginn, als auch das Bauende klar definiert sind?

Ich bin bereits seit mehr als 10 Jahren in vielen Nutzergesprächen zu einem Neubau dabei. Dass es jetzt konkret wird, freut mich sehr. Für mich sehe ich eine große Chance beteiligt zu werden, weil ich meine Ideen und Erfahrungen aus dem klinischen Bereich in die Bauplanung einfließen lassen kann. Unser Notfallzentrum ist eine wichtige Eintrittspforte in die Klinik, unsere hohe fachliche Expertise sollte sich entsprechend in den Behandlungspfaden abbilden. Das hat einen Impact für die bauliche Struktur. Die Realisierung sehe ich aber nicht nur für unseren Klinikstandort in Göttingen als zukunftsweisend, sondern kann ein Vorbild für die Notfallversorgung in Deutschland insgesamt sein. 

Haben Sie weitere Mitstreiterinnen und Mitstreiter, die Sie auf dem Weg zum neuen Klinikum fachlich begleiten?

Grundsätzlich legen wir dabei sehr viel Wert darauf, dass wir nicht nur interdisziplinär, sondern interprofessionell aufgestellt sind. Für uns ist die Notfallversorgung ein übergreifendes Thema. Wir haben dazu ein Team auf Leitungsebene gebildet, das unsere fachübergreifenden Perspektiven zu baulichen Themen abdeckt. Ob Ärzte- oder Pflegefachpersonal, Administration oder Organisation: Wir sind an einer engen Kommunikation zwischen allen Nutzerinnen und Nutzern aus verschiedenen Berufsgruppen interessiert, damit sich alle in dem zukünftigen Bauplan des Notfallzentrums der UMG abgeholt fühlen.

Ärztin und Pfleger stehen im Patientenzimmer an einer Maschine